#zukunftcoworkingQuo vadis, Coworking? Eröffnungsrede von Tobias Kollewe zur #zukunftcoworking 2025

Die Eröffnungsrede von BVCS-Präsident Tobias Kollewe (Linkedin) zur #zukunftcoworking 2025
Berlin/Köln, 29. Oktober 2025

 

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Willkommen zur #zukunftcoworking!

Vor einem Jahr habe ich hier gestanden und – mit gebotener Vorsicht – gesagt, dass auf unsere Branche anspruchsvolle Monate zukommen. Für diese offenen Worte gab es Lob, aber auch Kopfschütteln. Ein Jahr später ist Zeit für einen ehrlichen Faktencheck:

Wir haben Insolvenzen gesehen. Wir haben Schließungen gesehen – in Metropolen und im ländlichen Raum. Wir sehen veröffentlichte Zahlen zu Coworking Spaces in Deutschland, die an manchen Stellen kein schönes Bild zeichnen. Auch wenn die Gesamtzahl der Coworking Spaces im letzten Jahr erneut leicht gestiegen ist, dann darf man nicht darüber hinwegsehen, dass es seit der letzten BVCS-Erhebung in 2024 196 Coworking Spaces nicht mehr gibt.

Und wir sehen: Selbst große Player, VC-gestützte Spaces, treten auf die Bremse, investieren vorsichtiger, rechnen härter, schließen Standorte.

Wenn wir einen Blick auf den Büroflächenmarkt werfen, der durchaus auch als Indikator für unseren Markt gelten darf, dann zeichnet sich ein fortlaufend erschreckendes Bild. Beispiel Berlin. Warum gerade Berlin? Weil Trends hier oft beginnen und sich mit etwas Verzug im Rest der Republik fortsetzen.

Der Leerstand in Berlin liegt aktuell bei 8,1%, was 1,91 Millionen Quadratmetern entspricht. Und steigt damit das siebte Jahr in Folge. Nicht nur, weil mehr gebaut oder mehr fertiggestellt wurde, sondern weil die Nachfrage sinkt: zum fünften Mal in Folge.

Und wenn die Nachfrage nach Büroflächen und Arbeitsplätzen sinkt, dann hat das unmittelbare Auswirkungen auf unsere Branche. Da, wo unsere Flexibilität oft ein entscheidender Vorteil ist, kann sie sich auch schnell gegen uns wenden, wenn Verträge gekündigt werden oder unsere Kunden zahlungsunfähig sind.

Und dass uns als Branche der gesamtwirtschaftliche negative Trend hart treffen wird, mit Verspätung, das ist meine Befürchtung für das kommende Jahr.

Die Konsolidierung ist nicht mehr Ankündigung. Sie ist da.

Was können wir daraus lernen? Drei Punkte.

Erstens: Die Boomjahre nach Corona sind vorbei. Der Trend geht weiter, aber abgeflacht. Wachstum bleibt möglich – doch nicht mehr um jeden Preis.

Zweitens: Coworking ist Teil der Gesamtwirtschaft. Wenn es gesamtwirtschaftlich klemmt, erreicht uns dieser Druck zeitversetzt – aber er erreicht uns.

Drittens: Coworking ist ein Business. Community, Gastfreundschaft, Kultur – das alles macht uns aus. Aber ohne belastbares Geschäftsmodell, ohne klare Produkte, ohne saubere Zahlen hält es keinem Gegenwind stand.

Eine ganz persönliche Beobachtung: Ich berate seit vielen Jahren Gründerinnen und Gründer in der deutschen Coworking-Branche. Bei Businessplänen, Tarifen, Produkten – und bei allem, was ein Space braucht: Bürokratie, Regulierung, Recht und Steuern, Finanzierung, Infrastruktur.

In diesem Jahr sind die ersten Betreiber auf mich zugekommen und haben um Unterstützung gebeten, ihren Space fit für die Zukunft zu machen – wegen organisatorischer Lücken, falscher Angebotslogik oder schlicht einem schwierigen Geschäftsmodell – klassische Restrukturierungsberatung  Und wie so oft im Leben gilt: Wenn einige um Hilfe bitten, ist es für andere womöglich fünf vor zwölf.

Das ist kein Schreckensbild. Das ist ein Warnsignal – und eine Einladung, jetzt professioneller zu werden.

Was „professioneller“ heißt – ohne Illusionen

Professionalität beginnt mit Fokus: Wofür stehen wir – heute, nicht gestern? Für wen lösen wir welche Probleme, zu welchen Konditionen? Ein Satz, ein Nutzenversprechen, ein Preispunkt. Wenn der Satz zu lang wird, ist das Angebot zu unklar.

Professionalität setzt sich fort in der Produktarchitektur: Weniger Varianten, mehr Verständlichkeit. Coworking Membership, Fix Desk, Private Office, Meetingräume und Virtual Office – fünf Schienen, die Kunden verstehen, buchen und budgetieren können. Kein Tarif darf erklären müssen, warum es ihn gibt.

Professionalität zeigt sich in den Zahlen: Deckungsbeiträge kennen – nicht schätzen. Zonen-Auslastung steuern – nicht hoffen. Preise so bewegen, dass sie sich der Nachfrage anpassen. Eine einfache Arbeitshypothese hilft im Alltag: Wenn wir eine Leistung nicht innerhalb einer Minute sauber kalkulieren können, ist sie operativ zu kompliziert.

Professionalität braucht System im Vertrieb: Sichtbarkeit für Suchanfragen, die wirklich Umsatz bringen; Inhalte, die Ergebnisse zeigen statt nur schöne Räume; Partner, die Türen öffnen – Wirtschaftsförderungen, Hochschulen, Unternehmen. Was planbar ist, skaliert.

Und Professionalität heißt: Prozesse bauen, die tragen. Vom Zutritt bis zum Vertragsabschluss; wiederkehrendes automatisieren; die besten Community-Manager sind großartig mit Menschen und gnadenlos gut in Abläufen.

Und zur Realität gehört auch das Übel der Regulatorik. Datenschutz und Datensicherheit, ESG, Arbeits- und Gesundheitsschutz; Brandschutz, Umnutzung und behördliche Auflagen – und ja: Das Geldwäschegesetz Das alles nervt. Aber: Wer Standards meistert, gewinnt Vertrauen – bei Nutzern, Partnern, Behörden. Compliance ist kein Papierkrieg, sondern ein Verkaufsargument.

Drei Sätze, die ich zu oft höre – und warum sie uns bremsen

Der erste Satz klingt harmlos: „Coworking? Das ist doch vor allem was für Start-ups.“

Die Realität sieht anders aus: Freelancer, die Gemeinschaft suchen. Projektteams, die Zwischenflächen brauchen. Mittelständler, die sich in Transformation befinden. Konzerne, die pendelnde Teams entlasten. Verwaltung und Bildung, die temporär Räume benötigen. Flexibilität ist kein Modethema – sie ist die Infrastruktur für Veränderung.  Wer nur auf Start-ups schaut, übersieht vermutlich 80 % der eigentlichen Nachfrage.

Der zweite Satz hat Biss: „Flex ist am Ende teurer.“

Teurer als was? Als die leere Etage mit Fünfjahresbindung, Umbau, Leerstand und Risiko? Wer Total Occupancy Cost sauber rechnet, sieht ein anderes Bild: Flex senkt Bindung, beschleunigt Start, vermeidet Überdimensionierung – und macht Budgets planbar. Das ist nicht teurer. Das ist risikoärmer.

Der dritte Satz klingt nett: „Community ist nice-to-have.“

Nein. Community ist insbesondere im suburbanen Raum Nutzungssicherung. Sie macht aus Quadratmetern produktive Stunden, aus Räumen Ergebnisse, aus Gästen Stammkundschaft. Menschen kommen wegen der Flexibilität – sie bleiben wegen der Community. Wer Community als Kaffeekränzchen belächelt, versteht ihren betriebswirtschaftlichen Effekt nicht.

Thesen zum Thema Coworking sind gut, Evidenz ist besser.

Und die liefert unser eigener Markt.

Beim Deutschen Coworkingpreis 2025 hatten wir 99 Einreichungen, eine außergewöhnliche inhaltliche Qualität und eine Ticketnachfrage, die unsere Erwartungen gesprengt hat.

Die Verleihung des Deutschen Coworkingpreises ist nicht nur ein schönes Abendevent. Das ist ein Marktsignal: Messbare Qualität schafft neue Nachfrage. Standards sind kein Korsett – sie sind Wachstumstreiber. Und der Deutsche Coworkingpreis hat eines deutlich gemacht: Diese Branche brennt – für Qualität, für Wirkung, für Verantwortung.

Unser Weg von heute bis zum nächsten Kongress

Stellt euch vor, es ist der Abend vor der nächsten #zukunftcoworking und der Preisverleihung für den Deutschen Coworkingpreis 2026. Wir blicken zurück und sagen: „Wir sind lauter geworden, messbarer geworden, besser geworden.“

Was heißt das konkret – nicht als Liste, sondern als Haltung?

Lauter werden bedeutet, dass wir nicht nur unser eigenes Haus bewerben, sondern die Branche als Lösung erzählen: Geschichten von Ergebnissen, nicht nur von Quadratmetern; Gesichter und Teams, nicht nur Flächen. Wenn Städte, Unternehmen, Verwaltungen flexible Arbeit denken, sollen sie spontan an uns denken.

Messbarer werden bedeutet, dass wir Daten teilen, nicht horten. Auslastung, Aufenthaltsdauer, Team-Nutzung, Conversion – lokal, regional, im Verband. Wer teilt, lernt schneller. Wer lernt, führt. Messbarkeit ist die Brücke zwischen Gefühl und Entscheidung.

Besser werden bedeutet, dass Qualität sichtbar ist: in Klassifikationen, in überprüfbaren Standards, in der Art, wie wir Mitarbeitende entwickeln. Wir investieren in Menschen – Verkauf, Gastlichkeit, Prozesse, Technik, Recht. Think like a CFO, act like a Host. Beides zusammen ist unser unfairer Vorteil.

Wenn wir diese drei Sätze leben, braucht es keine hundert Maßnahmen. Es braucht Konsequenz.

Und noch ein Wort zur Realität – damit die Mahnung hängen bleibt

Ja, wir spüren steigende Miet- und Betriebskosten. Ja, Software- und Personalkosten ziehen an. Ja, die To-do-Liste in der Regulatorik wird länger – und die Regelungen des Geldwäschegesetzes werden Mitte 2027 nochmals verschärft.

Aber: Das sind keine Gründe für klein. Das sind Gründe für klar.

Wir dürfen uns nicht von Kosten entmutigen lassen – wir schärfen Angebot und Kalkulation.

Wir dürfen uns nicht von Bürokratie lähmen lassen – wir bauen Prozesse, die tragen.

Wir dürfen uns nicht vom Narrativ „nett, aber teuer“ treiben lassen – wir beweisen Effizienz: schneller, flexibler, risikoärmer als jeder herkömmliche Mietvertrag.

Das ist die Realität.  Genau deshalb brauchen wir gemeinsame Hebel, die Einzelne stärken und die Branche sichtbarer machen.  Einen davon haben wir längst: den BVCS.

Wir bündeln im BVCS Wissen, geben Orientierung, bieten Formate – Fachgruppen, Netzwerk-Events, Gründer-Talks, Workshops – und wir vertreten eure Anliegen.

Wir arbeiten an Sichtbarkeit – in Öffentlichkeit, Politik und Immobilienwirtschaft. Wir treiben Standards – damit Qualität messbar wird. Und wir verbinden – damit aus Einzelnen ein Markt wird.

Aber: Das gelingt nur, wenn ihr euch einbringt.

Wir – die Branche und der BVCS – brauchen eure Mitgliedschaft, eure Zeit, euer Know-how. Nicht irgendwann. Jetzt.

Engagiert euch im BVCS. Bringt eure Kennzahlen ein. Holt euch Unterstützung – früh, nicht wenn es zu spät ist.

 

Wir haben großartige Spaces in Deutschland! Wir haben Beispiele, die funktionieren – in der Stadt und auf dem Land. Wir haben Kundinnen und Kunden, die bleiben, weil wir Probleme lösen. Wir haben eine Community, die sich gegenseitig stärkt.

Und wir haben einen Tag vor uns, der genau das zusammenführt: Ideen, Praxis, Menschen.

Nutzt die Ausstellerinnen und Aussteller als Sparringspartner. Lernt von denen, die heute auf der Bühne zeigen, was funktioniert. Fragt in den Pausen die eine Frage, die ihr sonst aufschiebt. Sucht euch heute mindestens eine Kooperation, die ihr morgen unterschreibt.

Die Zukunft der Arbeit braucht Orte. Und wir bauen sie.

Die Zukunft der Städte braucht Lebendigkeit. Wir füllen sie.

Die Zukunft unserer Branche braucht Mut und Maß. Wir bringen beides.

Der Kaffee ist heiß, die Köpfe sind wach, die Bühne ist bereit.

Lasst uns diesen Tag neugierig und entschlossen beginnen.

Vielen Dank – und herzlich willkommen zur #zukunftcoworking!

 

 

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